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AutorenbildBianca

Fressen, Sex & Sicherheit - Was unsere Hunde bewegt



"Bedürfnisorientiertes Training". Ein Schlagwort, dass uns immer häufiger begegnet. Für viele ist das einfach immer noch nur eine Umschreibung für ein Training nur mit Leckerchen. Umgesetzt von Clicker-Uschis, PositivePetras und Wattebäuschchenwerfern. Und bei den richtig harten Fällen, hilft das eh nicht und verschlimmert die Situation nur.


Tatsächlich? Ist das so?


Um bedürfnisorientiertes Training zu verstehen, muss man sich erst einmal Gedanken darüber machen, was denn die Bedürfnisse unserer Hunde überhaupt sind. Was lockt sie hinterm Ofen vor? Was treibt sie an? Lasst uns doch mal auf Spurensuche gehen!


Tief im Säugetiergehirn verankert, hunderte von Millionen von Jahre alt, gibt es ein Programm, welches dafür sorgt, dass Hunde (und übrigens auch wir Menschen und alle übrigen Lebewesen) ständig danach streben, die eigene Art überleben zu lassen. Die kostbaren Gene von Generation zu Generation weiterzugeben.


Um dieses höchste Ziel zu erreichen, müssen

  • Nachkommen produziert werden und

  • regelmäßig Ressourcen beschafft/gesichert werden

  • alle möglichen Gefahren abgewehrt werden


Also kann man, grob gesagt, alle von Hunden gezeigte Verhaltensweisen in drei große Funktionsbereiche einordnen:

  • Fortpflanzung

  • Ressourcenbeschaffung/-sicherung

  • Gefahrenabwehr

Gucken wir uns das mal noch etwas genauer an 🔎


Sofern der Hund nicht bei einem Züchter groß wird, wird ihm sein eigentliches, großes Ziel im Funktionskreis Fortpflanzung, nämlich Nachkommen zu produzieren, verwehrt bleiben. Das kann für Rüden wie auch für Hündinnen äußerst frustrierend sein, sobald ein geeigneter Partner in der Nähe auftaucht und man nicht kann, wie man gerne würde. Was wir aber auch in diesem Funktionskreis finden, und das finde ich sehr spannend, sind soziale Interaktionen, wie z.B. Komfortverhalten (sich gegenseitig beknabbern, putzen, etc.), Spielverhalten, usw. Nicht nur innerartlich mit anderen Hunden, sondern auch außerartlich mit uns oder anderen Lebewesen.

Bei den Ressourcen geht's darum, Fressen zu beschaffen und Vorräte zu sichern. Es gehört zum "täglich Brot" unserer Vierbeiner. Fressen ist auch eines DER Grundbedürfnisse und sollte niemals an Bedingungen geknüpft sein. Trainingsformen wie NILIF (Nothing in Life is free) sind daher bedenklich, da sie für permanenten Hintergrundstress sorgen können. Denn, wenn Fressen nicht zuverlässig regelmäßig zur Verfügung steht, wird es zu einer wertvollen Ressource für den Hund, um die er ständig bangen muss und schwubbeldiewupps haben wir unter Umständen auch noch ein handfestes Ressourcenproblem. Also, den Wuffie bitte immer pünktlich füttern 🤗


Im Funktionskreis der Gefahrenabwehr zeigt sich ganz deutlich, dass Hunde ständig eine ausgeklügelte Kosten-Nutzen-Analyse in ihrem Kopf laufen haben. Es gibt insgesamt 4 Bewältigungsstrategien (die 4Fs), die im Angesicht von Bedrohungen gezeigt werden:


  1. Flucht ("Flight"). Mit Abstand die beliebteste Bewältigungsstrategie. Sie ist sehr viel "billiger" als ein möglicher Kampf ("Fight"), dessen Ausgang ungewiss ist. Das Heilen von Verletzungen kostet sehr viel Energie. Energie, die man anderweitig dringender benötigt. Daher wird jeder Hund versuchen, eine Gefahr unter allen Umständen, so verletzungsfrei wie nur möglich, abzuwenden. Ist Flucht nicht möglich (z.B wegen einer Leine, einem engen Raum, einer das Laufen einschränkenden Verletzung, etc.), wird unser Fellkind gezwungen auf eine der anderen 3 Strategien zurückzugreifen.

  2. Die eher harmlose aber für andere Hunde z.T. extrem nervige Strategie des Rumkasperns ("Fiddle about") - fälschlicherweise oft als "Na, der freut sich aber!" gedeutet,

  3. die Strategie Einfrieren ("Freeze"). Das ist ein bisschen wie "Russisch Roulette", wer zuerst zuckt, hat verloren. Oder als letzte Variante dann halt doch

  4. die Strategie Kampf ("Fight") (Stichwort: Leinenrüpel - Der Wunsch hinter der Leinenrüpelei ist oft eine Distanzvergrößerung. Der Hund versucht damit, da er selber wegen der Leine nicht wegkann, seinen Gegenüber so einzuschüchtern, dass der abhaut. Was der aber ja meistens auch nicht kann, weil er auch durch eine Leine daran gehindert wird. Und schon haben wir den größten Knatsch.).


Zusammenfassend kann man also sagen:


JEDES VERHALTEN HAT EINE FUNKTION!


Und was hilft dieses Wissen für's Training?

Nun... Nur die Verhaltensweisen, die die jeweilige Funktion auch erfüllen (Jagen -> Beute machen) werden dem Verhaltensrepertoire fest hinzugefügt. Ein Hund, der z.B. ohne Erfolg jagt, wird sein Verhalten so lange anpassen, bis er zum Erfolg kommt, heißt, bis es sich lohnt.


Hunde folgen da einem ganz einfachen Muster:

  • Verhalten, dass sich lohnt, wird häufiger/regelmäßig gezeigt

  • Verhalten, dass sich nicht lohnt, eventuell sogar schadet, wird seltener/gar nicht mehr gezeigt.


Demzufolge muss ich, wenn ich meinem Hund etwas beibringen möchte, einfach nur dafür sorgen, dass sich das aufzutrainierende Verhalten auch für ihn lohnt. Dann wird er es in sein Verhaltensrepertoire aufnehmen. Klingt einfach? Ist es auch!


Auch das Abwenden von etwas Unangenehmen (Stichwort "Gefahrenabwehr") wertet der Hund im Weiteren als lohnend. Das Unangenehme wurde abgekürzt bzw. vermieden. Das Verhalten hat sich gelohnt. Daher funktioniert strafbasiertes Training auf den ersten Blick auch so gut. Aus Angst vor Strafe führt der Hund Befehle aus (z.B. schnelles Hinsetzen, wenn durch das nach oben ziehen der Leine ein Druck auf den Kehlkopf und die Lufröhre erzeugt wird). Das Ausbleiben/Abkürzen der Strafe ist dann die Belohnung. Auf den zweiten Blick sind über Strafe beigebrachte Verhaltensweisen jedoch oft nicht so widerstandsfähig gegen Löschung, weshalb der Hund immer wieder gestraft werden muss, um ihn an das erwünschte Verhalten "zu erinnern" (z.B. Leinenruck bei Leinenführigkeitsproblemen). Auch zeigen Hunde, die strafbasiert trainiert werden, sehr viel häufiger problematische Verhaltensweisen. (Zusammenfassung von 17 Studien: The effects of using aversive training methods in dogs—A review)


Für mich ist es darüberhinaus eine Frage von Ethik & Moral, die straffreien (attraktiven) Trainingsformen den strafbasierten (aversiven) Trainingsformen vorzuziehen.


Welche Belohnungsmöglichkeiten gibt es überhaupt?

Passende Belohnungen zu finden ist manchmal gar nicht so einfach. Fakt ist, dass alle Belohnungen aus einem der 3 Funktionskreise kommen. Schaun' wir doch mal, welche Belohnungsmöglichkeiten wir finden können.


Wie oben bereits erwähnt wurde, beinhaltet der Funktionskreis Fortpflanzung auch alle Arten von sozialen Interaktionen. Daher finden wir hier als geeignete Belohnung z.B. auch

  • das verbale Lob - Außer Du gehörst zum Team "scharfer Umgangston", dann ist Dein Stimme nicht die Quelle für Wohlbefinden und Du kannst das verbale Lob als Belohnung streichen, oder

  • Streicheleinheiten - Auch das Streicheln will sehr genau beobachtet sein. Viele Hunde wollen zwar Kontakt, wie z.B. anlehnen oder Kontaktliegen, aber kein Begrapschen mit den Händen (Anfassen ist ein Primaten-Ding). Ihr glaubt gar nicht, auf wie vielen Trainingsvideos man ein Meideverhalten erkennen kann, sobald die Besitzer dem Hund übers Köpfchen kraulen.

  • Die Interaktion mit Artgenossen. Auch diese kannst Du als Belohnung einsetzen: "Kannst Du einen TOUCH? - YES! - Geh' spielen".


Gehe ich einen Funktionsbereich weiter, zur Ressourcenbeschaffung finden wir den Klassiker unter den Belohnungen - Das Leckerchen 🍪! Beute machen ist ein geiles Zeug für unsere Hunde. Ein Leckerchen als Belohnung geht daher fast immer! Aber Achtung:


Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler!


Heißt, Dein Hund bestimmt die Wertigkeit seiner Futter-Belohnungen, nicht Du. Wenn er voll auf Leberwurst abfährt, dann lass' bitte Dein Gurkenstückchen stecken. Auch die Art, wie wir ein Leckerchen präsentieren hat einen enormen Einfluss auf die Wertigkeit für den Hund. Statt es langweilig ins Mäulchen zu stopfen, lass es z.B. schnell über den Boden rollen, damit Dein Hund hinterher jagen und es fangen kann als wäre es ein Beutetier. Sei hier ruhig kreativ.


Kann der Hund kein Leckerchen nehmen, dann hat er:

  • entweder keinen Bock drauf, weil es nicht hochwertig genug ist, oder

  • es zu langweilig präsentiert wird, oder

  • Futtererwerb gerade nicht seinem aktuellen Bedürfnis entspricht (ist vielleicht der Hundekumpel im Anmarsch?), oder

  • er steckt grad in einem zu hohen Erregungslevel fest


Und zu guter Letzt bleibt noch der Funktionskreis der Gefahrenabwehr. Was ein Hund als Bedrohung ansieht unterliegt seiner eigenen Einschätzung. Selbst wenn Du z.B. in einem Müllcontainer keine Bedrohung siehst, tut es Dein Hund, dann stehst Du ihm zur Seite! Eine schnelle gemeinsame Flucht (Distanzvergrößerung) kann sich für den Hund hier durchaus lohnend anfühlen. Allerdings muss dafür immer erst etwas Unangenehmes passieren, bevor das Gute passiert. Damit bewegen wir uns, wenn auch nicht absichtlich, im strafbasierten Bereich. Für solche Situationen Fluchtsignale aufzutrainieren, wie z.B. den U-Turn nach UBB oder das Party-Spiel nach Chirag Patel, macht absolut Sinn. Eine weitere Belohnung wäre, wenn der Auslöser für das Unangenehme von alleine verschwindet. Nehmen wir hier z.B. das Postboten-Phänomen. Der Hund bellt wie irre, wenn der Postbote kommt und siehe da, der Postbote verschwindet wieder (der Hund weiß ja nicht, dass er sowie sofort wieder gegangen wäre und verbucht das für sein Verhalten). Sich aufzuregen hat sich also gelohnt. Die Belohnung aus diesem Funktionskreis (Distanzvergrößerung) bewusst/geplant einzusetzen, ist haarig und kann sehr schnell sehr schief gehen. Daher setzen wir sie auch nur im Notfall (siehe gemeinsame Flucht) ein oder im Rahmen einer Verhaltenstherapie (bei einer systematischen Desensibilisierung). Letzteres nur unter Anleitung eines ausgebildeten Therapeuten!


Damit hätten wir so ziemlich alle Belohnungsmöglichkeiten abgeklappert. Einzig die Wahl der richtigen Belohnung zum richtigen Zeitpunkt steht jetzt noch zwischen Dir und dem Trainingserfolg. Jetzt geht es nur noch darum, das aktuelle Bedürfnis Deines Hundes zu erraten - Problem: Die tatsächliche Motivation können wir nie 100%-ig wissen. Wir können aber versuchen, sie so gut wie möglich aus dem aktuellen Verhalten unserer Hunde abzuleiten. Je besser Du Deinen Hund lesen kannst, umso treffsicherer wirst Du bei der Wahl Deiner Belohnung sein:

  • Ein Hund der wegen der Sommerhitze Durst hat, wird ein Leckerchen nicht besonders zu schätzen wissen, aber einen Sprung in den Teich dafür vielleicht um so mehr. Schick' ihn Schwimmen. Stichwort: Umweltbelohnungen.

  • Ein Hund der jagdlich motiviert ist, wird, wenn er von der Spur abgelassen hat, einem verbalen Lob nichts abgewinnen können, aber zu einem Leckerchen-Kegelspiel wird er als Belohnung nicht nein sagen können.

  • Dein Hund buddelt gerne? Dann schicke ihn doch als Belohnung zum Buddeln auf die Wiese. Und wieder Stichwort: Umweltbelohnung. - Loch danach wieder zumachen, dass sich niemand, der nach Dir über die Wiese läuft/reitet, verletzt!


Finde heraus, was Dein Hund gerade in dem Moment, in dem Du ihn belohnen willst, am liebsten möchte und nutze das als Belohnung. Und schon bist Du mittendrin im bedürfnisorientiertem Training!

Training kann soviel angenehmer und auch erfolgreicher sein, wenn man die Bedürfnisse seines Hundes berücksichtigt. In diesem Sinne: HAPPY TRAINING ❤️


Bei Fragen bitte einfach melden oder in die Kommentare schreiben.


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